Schmerz darf sein, Schmerz darf schmerzen und Schmerz darf langsam gesund werden:

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Wir fürchten Schmerz. Wir fühlen uns Schmerz gegenüber hilflos. Schmerz ist etwas, dem wir gern aus dem Weg gehen, weil er eben schmerzt. Während wir früh gelernt haben, dass es Tabletten gegen Kopfschmerzen gibt, haben wir für seelische Schmerzen meistens keine Hilfsmittel mitbekommen. Im Gegenteil, oft wurde uns vorgelebt oder vermittelt, dass wir diesen Schmerz runterschlucken, verdrängen, vergessen sollen.

Wir sollen über Schmerz hinwegkommen.

Seelischer Schmerz hat wenig Platz in unserer Gesellschaft. Viele Menschen leiden im Geheimen. Schmerz zu empfinden, unter Schmerz zu leiden wird oft als Schwäche verstanden. Manchmal wird uns etwas Zeit eingeräumt für Schmerz; aber auch nur wenig. Wir sollen wieder funktionieren. Und während es oft einfach ist, zu sagen «mein gebrochenes Bein tut weh», tun wir uns schwer damit, zu sagen, dass unsere Seele schmerzt.

Schmerz macht uns Angst.

Wir kennen keinen Umgang mit seelischem Schmerz. Wir fürchten sein Angesicht, weil er uns überrollen, verschlucken und zerstören könnte. Aber Schmerz ist keine Fehlfunktion unserer Seele, keine Bestrafung. Er soll uns nicht zerstören. Schmerz ist ein Lehrer, oft harsch in seiner Art zu lehren. Ein Lehrer, den wir fürchten und im ersten Moment wenig verstehen. Aber er zeigt uns, wo wir Wunden erfahren haben, wo uns weh getan wurde, wo wir noch Regeneration benötigen. Aus Schmerz, den wir tief verdrängen, dem wir aus dem Weg gehen, den wir fürchten, wird oft Leid, weil er noch da ist und wir so viel Energie darin investieren, ihm aus dem Weg zu gehen, bewusst oder unbewusst.

Wenn Schmerz tief in uns weggesperrt wird, hängt er an uns wie ein Betonklotz. Er zieht uns zu Boden, er sorgt dafür, dass wir beginnen, uns davor zu fürchten, uns selbst zu nahe zu kommen. Er distanziert uns von uns selbst. Und meistens gelingt es uns auch gut, dem Schmerz in uns selbst aus dem Weg zu gehen. Aber dann, in gewissen Situationen, berührt eine Ereignis diesen Schmerz und er bricht hervor und erinnert uns daran, dass er eben noch da ist. Und in diesem Moment, wo der Schmerz aufbricht, fühlen wir uns oft unfassbar einsam, weil wir uns auch davor fürchten, den Schmerz, den wir selbst schon lieber nicht sehen wollen, mit einem anderen Menschen zu teilen.

Wir versuchen, Schmerz mit Lust zu übertünchen.

Deepak Chopra schreibt in seinem «Buch der Geheimnisse» von einer Studie, in der Wissenschaftler*innen herausfinden wollten, wie Menschen mit plötzlichen Krisen umgehen. Die Studie wurde von Therapeut*innen mitfinanziert, die zu erfahren hofften, wo Menschen Hilfe suchen, wenn sie in Schwierigkeiten sind. Die Ergebnisse zeigen: Wenn der schlimmste Fall eintritt – wenn jemand eine Kündigung bekommet, von eine*r Ehepartner*in verlassen wird oder eine Krebsdiagnose erhält – suchen etwa 15 Prozent der Menschen Hilfe bei Psycholog*innen, Therapeut*innen oder Geistlichen. Die anderen sehen fern. Es sei instinktiv, Schmerz mit Lust zu übertünchen, sich etwas Gutes tun und sich ablenken zu wollen, schreibt Deepak Chopra.

Das Überdecken von Schmerz löst ihn nicht.

Aber das Überdecken von Schmerz löst den Schmerz nicht, es treibt ihn nur weiter in unser tiefstes Innerstes. Bis wir bereit sind, ihn zu betrachten. Bis wir uns mutig genug fühlen, dem Schmerz in die Augen zu blicken. Bis wir es wagen, unseren Schmerz mit Jemandem zu teilen.

Am Ende ist es nicht der Schmerz, der uns quält, sondern das Leid, das dieser Schmerz verursacht, wenn er nicht verarbeitet werden darf. Und niemand sagt, dass es einfach ist, seinem Schmerz ins Gesicht zu blicken. Wenn es einfach wäre, hätten wir damit keine Probleme. Es braucht Mut, Zeit und die richtige Strategie. Es braucht Menschen, die uns begleiten und Räume, in denen wir sicher sind. Und es braucht die Gewissheit, dass der Schmerz uns nicht zerstört, wenn wir ihn zulassen.

Diese Gewissheit wächst langsam. Je besser wir uns kennen lernen, desto sicherer fühlen wir uns auch mit unserem Schmerz, denn er ist ein Teil von uns. Ein wichtiger Teil, den wir langsam, Schritt für Schritt, anerkennen dürfen. Und wir dürfen auch von aussen Anerkennung erfahren, in dem unser Schmerz ernst genommen und uns Unterstützung angeboten wird.

Schmerz ist echt, Schmerz hat einen Platz und Schmerz ist nichts, was wir überstreichen müssen wie eine verblasste Farbe an der Wand. Schmerz darf sein und Schmerz darf gesund werden, langsam.

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