Wir bringen einige Koffer, viele Hosen und manche Schnüre mit:

Unser Dasein wird von unseren persönlichen Erfahrungen, dem Umfeld, in dem wir aufgewachsen sind und den Beziehungen, die wir führen, beeinflusst. All diese Dinge sind wie Koffer, Hosen und Schnüre, die wir mit uns tragen. Deshalb macht es auch wenig Sinn, uns und unser Erleben direkt mit anderen Menschen zu vergleichen. Im Grunde genommen sind wir zwar ähnlich aufgebaut, bestehen aus ähnlichen Komponenten und unsere Körper und unser Denken funktionieren ähnlich. Aber niemand trägt genau die gleichen Koffer, Hosen und Schnüre mit sich herum.

Wenn wir Menschen kennen lernen, wäre es eigentlich gut, wir könnten uns nicht nur auf die Haarfarbe, die Mimik, die Grösse, die Stimme, die offensichtlichen Charaktereigenschaften konzentrieren. Wir sollten uns Menschen immer mit vielen Gepäcksstücken vorstellen, die sie mit sich schleppen und mit mehreren Schichten von Kleidern, die sie übereinander ge-layert tragen.

Jeder Koffer steht für eine Erfahrung, die wir gemacht haben

Die Gepäcksstücke stünden dabei für das, was dieser Mensch schon erlebt hat, was er an Erfahrungen mit sich trägt und ihn geprägt hat. Jeder Mensch bringt viele Koffer an Erfahrungen mit, die in bewusst und unbewusst bei seinen Entscheidungen beeinflussen. 

Die geschichteten Kleidungsstücke sind Dinge, die man diesem Menschen beigebracht hat, Werte, die diese Person mitbekommen hat und Muster, die erlernt wurden. Aber auch Verhaltensweisen, die man erlernt hat. Jeder Mensch wächst in einem Umfeld auf, das von den Personen darin geprägt ist. Wir erleben zwischenmenschliche Dynamiken und lernen, wie man sich zu verhalten hat oder auch nicht. Wir lernen, was gesellschaftlich anerkannt ist und wie wir uns verhalten sollten. All diese Schichten, die wir uns anziehen oder die uns angezogen werden, wirken sich ebenfalls darauf aus, wer und wie wir sind.

Neben den Taschen und Pullovern können wir uns auch noch vorstellen, dass jeder Mensch von ganz vielen kleinen Schnüren umgeben ist, die ihn mit vielen anderen Menschen verbinden. Sie stehen für all die Beziehungen, die wir führen und Verbindungen mit Menschen, die wir bewusst oder unbewusst aufrechterhalten.

Treffen wir nun aufeinander, treffen wir nicht einfach nur eine Person; wir treffen ihre Koffer, ihre Hosen und all ihre Verbindungen und Dynamiken mit anderen Menschen.

Ist es nicht verrückt, wie viele Dinge ein Mensch so mitbringt?

Wenn wir nun eine Veränderung anstreben, beginnt dieser Prozess zwar in uns selbst, indem wir uns dafür entscheiden. Aber dabei spielen alle Koffer, alle Bekleidungsstücke, alle Schnüre um uns herum ebenfalls eine Rolle.

Wollen wir zum Beispiel mehr Selbstwert empfinden, müssen wir uns durch viele alte Erlebnisse graben, die uns gelehrt haben, dass wir nicht genug sind. Oder vielleicht müssen wir eine Hose ausziehen, die für ein Verhaltensmuster steht, mit dem wir uns selbst entwerten, um für andere Menschen keine «Gefahr» zu sein. Und wenn wir uns schliesslich durch unsere Koffer und Kleider gegraben haben, kommen wir zu den Schnüren, die uns mit anderen Menschen verbinden. Welches Verhalten von anderen Menschen sorgt dafür, dass wir uns wertlos fühlen? Und welche Beziehungen werden und müssen sich verändern, wenn wir uns wertvoller fühlen möchten? Wie reagieren unsere Partner*innen, wenn wir uns zukünftig anders fühlen und verhalten?

Wir sind ein komplexes System und wenn wir etwas verändern wollen, spiele alle einzelnen Aspekte eine wichtige Rolle. Veränderung beginnt mit einer Entscheidung und beinhaltet das Durchwühlen von Koffern, das Ablegen von Kleidern und das Durchtrennen oder Knüpfen von Schnüren.

Deshalb ist Veränderung nicht immer so leicht und wir dürfen für uns selbst, aber auch für andere Menschen viel Demut und Verständnis haben. Denn wir alle tragen viele, viele Koffer, noch mehr Kleider und viele, viele Schnüre mit uns herum.

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