Wir ziehen uns die Schuhe der Eigenverantwortung an:

«Ich fühle mich gerade, als hättest du mir gesagt, ich kann zum Mond fliegen», lachte eine Klientin nach eine gemeinsamen systemisch-schamanischen Mentoring-Session. «Nun, genau genommen, kannst du das auch. Aber du wärst dafür verantwortlich, dafür zu trainieren, dir eine Platz in einem Space Shuttle zu sichern und auf diesen Flug hinzuarbeiten.»

Für viele Menschen, mit denen ich arbeite, ist die Erkenntnis, dass sehr viele Dinge möglich sind, wenn wir die Verantwortung für unsere Wünsche, Bedürfnisse und Träume selbst in die Hand nehmen, eine beinahe erschütternde Erfahrung: «Ja, natürlich. Ich kann meine Situation verändern. Ich kann das. Aber ich muss es selbst tun.»

Viele Menschen, die zum ersten Mal in eine Mentoring-Session zu mir kommen, fühlen sich in einer Situation oder einem Gefühl gefangen. Sie sehen keine Möglichkeit, etwas an ihrer Situation zu verändern oder sind davon überzeugt, dass andere Menschen, eine Situation oder gar ein ganzes System dafür verantwortlich sind, dass sie nicht voran kommen: Viele Menschen fühlen sich zu Beginn unserer gemeinsamen Arbeit ohnmächtig, machtlos.

Das Gefühl, keine Macht zu haben, hält uns gefangen.

Diese Ohnmacht führt dazu, dass wir uns gefangen fühlen, erstarrt, wie ein rastloser Tiger in einem unsichtbaren Käfig.

Und manchmal erscheint uns eine Veränderung so unmöglich, so schwierig, dass wir überzeugt sind, dass es erst einmal einfacher wäre, in einer Situation zu verharren. Manche Menschen sind auch davon überzeugt, dass es gar nicht möglich ist, dass sie selbst etwas an ihrer Situation verändern, weil doch andere Menschen, das System, das Schicksal, die Gesellschaft Verantwortung dafür tragen, wie es ihnen geht.
Eine Veränderung ist aber nur möglich, wenn wir uns die Verantwortung für unser Leben zurück in unsere eigenen Hände holen und in die grossen Fusstapfen der Eigenverantwortung steigen.

Erwachsen werden bedeutet auch, Verantwortung für unser Wohlbefinden zu übernehmen.

Als Kind werden wir in die Fürsorge unserer Eltern hinein geboren. Wir sind existentiell darauf angewiesen, dass sie unsere Bedürfnisse erfüllen und die Verantwortung für unser Wohlbefinden übernehmen. Je älter wir werden, desto mehr sollten wir diese Verantwortung selbst übernehmen und Schritt für Schritt lernen, unsere Bedürfnisse zu erkennen und Verantwortung für unser Wohlbefinden zu übernehmen.

In einer idealen Welt würden wir mit einem gut gefüllten Rucksack in unser Leben als Erwachsene starten. Dieser Rucksack würde Tools zum Erkennen der eigenen Bedürfnisse und Ideen beinhalten, wie wir sie erfüllen können. In einer idealen Welt würden wir in Form einer Zeremonie ein paar Schuhe bekommen, die Eigenverantwortung symbolisieren. Und mit dem Anziehen dieser Schuhe wäre für uns völlig klar, dass wir von nun an zuerst selbst für unser Wohlbefinden verantwortlich sind.
Das heisst nicht, dass wir uns keine Hilfe, keinen Support oder keine Menschen suchen können, die uns dabei unterstützen, zu uns selbst Sorge zu tragen. Aber die Schuhe der Eigenverantwortung, die behalten wir immer selbst an unseren Füssen; sie passen Niemandem sonst.

Unsere Schuhe passen nur uns selbst.

«Aber, ich muss doch zuerst für meiner Familie, meine Angestellten, meine Kinder sorgen?», werde ich oft gefragt. Zu einer Gemeinschaft zu gehören und eine Beitrag zu leisten ist eines unserer Grundbedürfnisse. Altruistische Taten tun uns gut, wir finden eine Sinn darin, andere Menschen oder Lebewesen zu unterstützen. Aber wir tragen dennoch zuerst die Verantwortung für unser eigenes Wohlbefinden; sonst haben wir irgendwann nichts mehr übrig, was wir anderen geben können.
Die Verwantwortung für unsere eigenen Bedürfnisse, für uns selbst, zu übernemen, kann beänstigend sein. So beängstigend, dass wir uns manchmal davor hinter vielen Gründen verstecken, warum das gerade nicht geht. Diese Angst, diese Ohnmacht, gilt es, zu überwinden. Ist das einfach? Nein. Ist es nötig? Ja!

Ermächtigung ist ein sonderbares Wort, aber genau darum geht es in meiner Mentoring- und Coaching-Arbeit: Meine Klient*innen und ich finden gemeinsam zurück zur Macht, die eigenen Bedürfnisse zu erfüllen. Für viele Menschen ist es das erste Mal überhaupt, dass sie bewusst in die Schuhe der Eigenverantwortung steigen. Diese vermeintlich kleine Veränderung in ihrer Einstellung löst oft eine jahrelange Starre der Ohnmacht und sie können zum ersten Mal wieder voranschreiten. In ihren neuen Schuhen.

Nur, wer stabil in den eigenen Schuhen der Selbstverantwortung steht, kann mit voller Energie etwas zum Wohle der Gemeinschaft, der liebsten Menschen, der Welt tun.

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